Arbeitsgemeinschaft Elternbeiräte an Gymnasien im Regierungsbezirk Stuttgart

Elternrundbrief des Landeselternbeirats attackiert Kultusministerium

Brief des Vorstands des Landeselternbeirats Baden-Württemberg im Wortlaut:

Liebe Eltern!
 In einem weiteren Elternbrief möchten wir Sie über die aktuell sehr problematische Lage im badenwürttembergischen Schulsystem informieren.
Stark angefangen hat die Kultusministerin unseres Landes zu Beginn der Corona-Krise. Sie hat klar gemacht, dass sie die Situation in Abstimmung mit den Betroffenen und in transparenter Weise meistern will.
Noch viel stärker nachgelassen hat sie, die Kultusministerin unseres Landes, in den letzten vier Wochen. Von den oben beschriebenen Vorsätzen ist so rein gar nichts übriggeblieben!
Von Abstimmung mit den Betroffenen kann nicht einmal ansatzweise die Rede sein. Das letzte Gespräch mit der Ministerin hatte der LEB – eines der Beratungsgremien des Kultusministeriums – vor ca. vier Wochen. Vorschläge, die der LEB notgedrungen über die Presse lanciert, werden allenfalls ohne Begründung kurz abgefertigt; siehe die erste Reaktion der Ministerin zum Thema Sommerschulkurse. Ein weiterführendes Gespräch hierzu fand bislang nicht statt.
Gerüchteweise stimmt sich die Ministerin durchaus mit den Lehrerverbänden ab. Aber die Lehrpersonen sind schließlich Beamte und können daher nicht so frei und offen in der Öffentlichkeit das desaströse Krisenmanagement der Ministerin kritisieren – sie sind zur Loyalität verpflichtet. Die Eltern können dies sehr wohl und deshalb hält man sie wohl lieber außen vor.
Die Informationspolitik des Kultusministeriums kann man allenfalls als Desaster bezeichnen. Selbst der LEB erhält manche Informationen auf mehrfaches Nachfragen nicht. Wenn es nicht wohlmeinende Menschen in der Schulverwaltung gäbe, die glauben, dass eine umfassende Information aller Beteiligten in dieser schwierigen Zeit hilfreich und zielführend – oder schlicht nur fair – wäre, dann wären wir von mancher Information einfach abgeschnitten.
Die Art, wie die Ministerin hier mit einem der Beratungsgremien des Kultusministeriums umgeht, zeigt nur, wie wenig wichtig ihr die Elternschaft ist.
 
Dazu passt auch das bemerkenswerte Detail, dass gemäß den Hygienehinweisen vom 22.04.2020 „Klassen- und Elternversammlungen (…) untersagt (sind)“. Beim ebenfalls behandelten Thema von Besprechungen und Konferenzen denkt das Ministerium wenigstens noch daran, an die Bevorzugung von Video- oder Telekonferenzen zu erinnern. Hinter der unscharfen Wortkreation der „Klassen- und Elternversammlungen“ verbergen sich schulgesetzlich verankerte Formate wie Klassenpflegschaftsabende, Elternbeiratssitzungen etc. Daher hat der LEB das Kultusministerium aufgefordert, dieses Thema klarzustellen.  Denn gerade in diesen Zeiten gibt es so viel Bedarf wie selten für Absprachen untereinander und zwischen Eltern und Schule auf den verschiedenen Ebenen – nur eben nicht in einem Raum!  (Um es also ganz deutlich zu sagen: Auch in der aktuellen Situation gelten die Rechte z.B. der Schulkonferenz weiterhin. Schulleitungen können da nicht alleine entscheiden, sondern müssen einen Entschluss der Schulkonferenz herbeiführen in einer Art, dass alle Mitglieder der Konferenz beteiligt sein können – notfalls also per Umlauf.) Selbst wenn also Formulierung in den Hygienehinweisen nur ein handwerklicher Fehler sein sollte, so passt sie doch in jedem Fall in die gerade praktizierte Ausbootung der Elternschaft durch das Kultusministerium.
Nun hat die Ministerin, noch während wir an diesem Brief gearbeitet haben, einen eigenen Elternbrief herausgegeben. Lesen Sie diesen Brief genau und urteilen Sie selbst. Wir jedenfalls konnten in diesem Brief wenig Konkretes entdecken, wohl aber viele wolkige Absichtserklärungen und „wohlmeinende“ Worte. Das nützt uns Eltern nur leider gar nichts. Wir brauchen Fakten und klare Konzepte und zwar jetzt. Wir müssen planen können und wir wollen Lösungsansätze, die nicht nur auf Kosten der Eltern gehen (siehe z.B. bei Fernunterricht – landläufig nicht ganz korrekt als „Homeschooling bezeichnet – weiter unten.).
Und dabei wollen wir in den Prozess eingebunden sein und nicht Maßnahmen der Ministerin „par ordre du mufti“ verkündet bekommen. Selbst die im Elternbrief der Ministerin vom 28.04.2020 erwähnte Informationsseite zu Corona führt Stunden nach Veröffentlichung dieses Briefes zu einer Fehlerseite: „Seite nicht gefunden.“ Kompetenz sieht anders aus. Mittlerweile (Mittwochvormittag) ist die Seite wohl erreichbar.
 
Aktuell werden ja durchaus viele verschiedene Konzepte für den weiteren Schulbetrieb in unserem Land entwickelt und erörtert. Der Landeselternbeirat erhält hier eine große Zahl Emails mit vielen Vorschlägen und Ideen. Uns ist das sehr wichtig. Es zeigt uns zum einen die vielfältigen Meinungen, Interessen und Bewertungen in der Elternschaft. Zum anderen können wir Anregungen aus dieser Korrespondenz in unsere Stellungnahmen, Interviews und Gespräche einbauen.
Ihre Rückmeldungen an den Landeselternbeirat garantieren ein umfassendes Bild der Lage und der aktuellen Haltung der Elternschaft, die allerdings auch äußerst vielfältig und komplex ist. Es gibt hier nicht die eine Lösung, die alle Eltern begrüßen oder ablehnen. Wir müssen an differenzierten Konzepten und Kompromissen arbeiten. Der Vorschlag von Sommerschulkursen z.B. ist so ein Konzept, so ein Kompromiss. An solchen Konzepten müssen wir weiterarbeiten, sie ausdifferenzieren, an die verschiedenen Bedürfnissen von Schülerinnen und Schülern (SuS) und Eltern anpassen – wenn es schon die Schulverwaltung nicht schafft.
 
Ein ganz zentraler Diskussionspunkt in der Elternschaft ist gerade der Fernunterricht. Und gerade bei diesem Thema wird das ganze Desaster der aktuellen Situation sichtbar.
Es erreichen uns durchaus Meldungen von Schulen, an denen es gut läuft: Lehrpersonen, die zu neuen pädagogischen Spitzenleistungen auflaufen. (Die Erfahrungen dieser Lehrpersonen müssen wir unbedingt für die Zukunft nutzbar machen.) Wir erhalten aber zunehmend Meldungen von Schulen, an denen einzelne Lehrpersonen oder der gesamte Lehrkörper seit über 4 Wochen komplett „abgetaucht“ sind. Und die Ministerin ist nicht in der Lage, solche Missstände abzustellen. Man muss sich ehrlich fragen, ob sie noch Herrin im eigenen Haus ist.
Was aber beim Fernunterricht immer schmerzlicher deutlich wird: Die Landesregierung verlangt von den Eltern gleichsam ein Digitales Schulgeld. Denn wer bezahlt den Großteil der Kosten des Fernunterrichts?
Das sind die Eltern, deren Kosten für Druckerpatronen in die Höhe schnellen, weil sie nach Gesetz kostenfreie Lehrmittel nun auf eigene Kosten ausdrucken müssen.
Das sind die Eltern, wenn sie bei mehr Kindern im Haushalt einen zweiten oder dritten Laptop für den Fernunterricht anschaffen müssen.
Das sind die Eltern, wenn sie – je nach Internet-Vertrag – die Kosten für stark ansteigende Bandbreiten-Nutzung zahlen müssen.
Das sind die SuS, wenn sie zu Hause kein Internet haben und am Fernunterricht über ihr Mobiltelephon teilnehmen müssen. Den Vertrag müssen sie hinsichtlich des Datenvolumens einerseits aufstocken und zumeist ja selbst bezahlen, finanziert oft über Aushilfsjobs, die in Zeiten von Corona wegbrechen. Eine zunehmende Zahl von SuS kann sich so den Fernunterricht rein finanziell nicht mehr leisten.
Lehr- und Lernmittel sind laut Gesetz und Landesverfassung frei – wohl aber nicht in Zeiten von Corona?
Eine reine Unverfrorenheit ist in diesem Zusammenhang die „Erfolgsmeldung“ der Kultusministerin, dass mit dem Messengerdienst Threema der erste Baustein der Digitalen Bildungsplattform an den Start geht. Threema ist ein auf dem freien Markt seit 2012 verfügbares Programm, eine Art sicheres WhatsApp. Nachdem die Kultusverwaltung die Bildungsplattform ELLA krachend in den Sand gesetzt hat, wird jetzt also für die Lehrerschaft ein seit 8 Jahren offen verfügbares Programm angeschafft und das dann als große Neuerung gefeiert – verbunden mit einem völlig unverständlichen Eigenlob, dies sei auch noch „früher als ursprünglich geplant“ geschehen.
Wohlgemerkt – das Land schafft die Lizenzen nur für die Lehrerschaft an. Wer zahlt die Lizenzen für die SuS? Sie werden es ahnen: Die Eltern!
Das kostet die Eltern pro Kind 3,99 Euro – und die Eltern selbst benötigen auch eine Lizenz für dieses Programm, um mit der Schule und den Lehrpersonen zu kommunizieren. Manche mögen einwenden, das sei nicht viel, aber diese Beträge summieren sich – neben all den anderen Zusatzkosten, die den Eltern in Zeiten von Corona aufgebürdet werden.

In unseren Augen ist dieses Vorgehen nicht nur ein klarer Beleg für die Konzeptlosigkeit der Ministerin, es ist auch ein unglaublicher Eingriff in die gesetzlich verankerte Lernmittelfreiheit.
 
Ich befürchte, ich könnte hier noch eine schier endlos lange Liste von Probleme und Fragen, die aktuell nicht nur durch Corona, sondern auch durch die Entscheidungen der Amtsspitze und der Landesregierung auf Corona entstehen, anführen: Was ist mit dem Problem häuslicher Gewalt? Welche Konzepte existieren konkret für Grundschulen, KiTas und SBBZs? Wie sehen konkrete Gefährdungsbeurteilungen aus, wenn SuS mit Covid-19 am Unterricht in der Schule teilgenommen haben? Warum werden die Sekundarstufen II der verschiedenen Schularten so unterschiedlich behandelt? Warum erwartet die Landesregierung, dass die Eltern weiterhin für eine nicht stattfindende Schülerbeförderung zahlen? Warum dauert es so lange bei einer einheitlichen Regelung zu den KiTA-Gebühren und kommt diese Regelung wirklich? Und, und, und, ...
 
Viele Frage, so gut wie keine konkreten Antworten aus dem Kultusministerium!
 
Liebe Eltern, Sie schicken uns gerade Ihre Fragen und Ihre Probleme. Und wie die gesamte Elternschaft, so werden auch wir im Moment nicht beratend in Entscheidungsprozesse eingebunden.
 
Darum rufen wir Sie heute zum Protest gegen diese Politik auf!
 
Schreiben Sie Ihre Fragen und Ihren Protest direkt an die Ministerin.
Mailen Sie Ihre Fragen und Ihren Protest direkt an die Ministerin.
Sicher, die Amtsspitze des Kultusministeriums geht wohl davon aus, dass die Eltern im Land gerade so am Limit sind, dass sie sich dazu nicht aufraffen können, bei all dem Stress und all den Problemen, die sie gerade zu meistern haben.
Beweisen Sie das Gegenteil!
Sicher, die Amtsspitze des Kultusministeriums wird mit nichtssagenden Antworten von der Stange reagieren.
Schreiben Sie trotzdem und machen Sie so klar, dass Sie mit der aktuellen Politik und dem aktuellen Politik-Stil der Kultusministerin nicht einverstanden sind.
Senden Sie uns Kopien Ihrer Schreiben, Ihrer Emails. So sind wir weiterhin informiert über Ihre Probleme, Herausforderungen, Ihre Nöte und Ihren Ärger. Für uns sind diese Informationen sehr wichtig.
 
Senden Sie Ihre Beschwerden und Probleme auch an die jeweilige lokale Presse, damit diese umfassend informiert ist. Unsere freie und kritische Presse ist aktuell wichtiger denn je!
Ja, wir wissen: Die aktuelle Situation ist gerade für Familien mit Kindern eine extreme Herausforderung und ausgerechnet Familien mit Kindern werden von unserer Landespolitik nicht wirklich ernst genommen - nicht wirklich wahrgenommen. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, das wieder zu ändern!
 
Bleiben Sie gesund und behütet!
 
Mit herzlichen Grüßen
 
Carsten T. Rees, Landeselternbeiratsvorsitzender