Arbeitsgemeinschaft Elternbeiräte an Gymnasien im Regierungsbezirk Stuttgart

AKTUELLES

Das Schuljahr 19/20 ist beendet - Wird das nächste Schuljahr besser?

Liebe Mitglieder der ARGE Stuttgart,

geschafft! Geschafft? Nicht wirklich, denn das Schuljahresende 2019/20 war wie das ganze Schuljahr sicher für alle Mitglieder der Schulgemeinschaft anders, als in allen Jahren davor.

Wir sollten uns nichts vormachen: Wir haben noch lange nicht das Ende der Unterrichtszeit unter Pandemie-Bedingungen erreicht. Wer aufmerksam die jüngsten Erlasse aus dem Kultusministerium studiert hat, der hat als einzig gesicherte Voraussage für das nächste Schuljahr mit in die Sommerferien nehmen können, dass alles unter Vorbehalt der Pandemie-Entwicklung stehen wird. Sollte die zwar eingebremste, aber immer noch enorm große Reiselust auch in die sogenannten Risikogebiete auch uns wieder rasch ansteigende Infektionszahlen liefern, dann sind alle die schönen Pläne für „normale“ Unterrichtsbedingungen für alle Kinder und an allen Tagen ganz schnell wieder im Papierkorb. Mit etwas gemischten Gefühlen haben wir deshalb in den letzten Tagen die Bemühungen verfolgt, die eigentlich bis Februar ausgesetzten jahrgangsübergreifenden Arbeitsgemeinschaften, also die vielen Schulchöre und -Orchester, die Theater- und Kunst-Arbeitsgemeinschaften, doch noch irgendwie zuzulassen. Die nun in der Presse angekündigte Suche nach Lösungen für eine Lockerung werden unter demselben Vorbehalt wie alle anderen Lockerungen stehen.

Es versteht sich von selbst, dass ohne diesen künstlerischen Teil des Schullebens „Normalität“ nicht einkehren kann. Und ebenso selbstverständlich ist, dass für viele Schulen im Land dies ein elementarer Bestandteil ihres Schulprofils ist. (Ein interessantes Beispiel dafür kommt aus Marbach: https://www.youtube.com/watch?v=FZZrAQpcsTM&feature=youtu.be)

Von daher sind sowohl die öffentlichen Stellungnahmen als auch die zahlreichen Aktionen vor den Sommerferien nachvollziehbar und in Ihrer Bedeutung zu unterstreichen. Auch die damit verbundene Petition können wir als ARGE gerne unterstützen und unsere Mitglieder bitten, daran teilzunehmen. (https://www.openpetition.de/petition/online/rettet-die-Schulmusik)

Wer der Überzeugung ist, dass Schule mehr ist als Unterricht, der kann nicht zuschauen, wie zur Corona-Zeit Schule sich durchgängig und ausschließlich nur noch an Kernfächern der Naturwissenschaften wie Mathematik oder Physik, Deutsch oder Fremdsprachen ausrichtet. Die Schulpolitik folgt genau dem, was in der Politik zu Corona-Zeiten bislang fast durchgängig üblich war: Viele Milliarden zur Wiederbelebung der Wirtschaft und wenig bis nichts für jenen Bereich, auf den man in Krisenzeiten demnach wohl verzichten kann: Kultur. Bildung gehört auch in diesen Bereich. Entsprechend stiefmütterlich sind ja auch die schon seit Jahren oder gar Jahrzehnten anstehenden Veränderungen in der Bildungspolitik behandelt worden. Wenn man die Debatten um Schule zur Corona-Zeiten verfolgt, könnte man fast den Eindruck gewinnen, dass Lehrermangel und Unterrichtsausfall erst seit Corona existieren. Das ist aber nicht so. Wir Eltern haben seit Jahren auf all die Probleme aufmerksam gemacht, die jetzt durch die Pandemie besonders deutlich wurden.

-      Wer hinderte die Kultuspolitik daran, die Milliarden des Digitalpakts leichter und schneller an den Schulen ankommen zu lassen?

-      Wer hinderte das Kultusministerium daran, den Lehrer*innen die Fortbildung zukommen zu lassen, die ihnen Videokonferenzen und Distanzunterricht so selbstverständlich hätten werden lassen, wie das beispielsweise in den skandinavischen Ländern der Fall ist?

-      Wer hinderte die Bildungspolitik daran, digitale Unterrichtsmittel in den Schulen zur Selbstverständlichkeit werden zu lassen?

Die Eltern und Schüler*innen waren dafür sicher nicht verantwortlich, wohl aber die Politiker, die es seit Jahren versäumt haben, der Bildung an unseren Schulen den Wert einzuräumen, den Bildung nun mal hat. Es ging nicht und es geht nicht um die Kosten für Bildung, sondern um die Investitionen, die dafür sorgen, dass auch morgen u.a. für Schulen, Arztpraxen, Architektur- und Ingenieur-Büros genügend gut ausgebildete Arbeitskräfte zur Verfügung stehen.

Für all diese Missstände sind die Politiker verantwortlich, denen für die nächste Wahl in ihrem Wahlkreis die Frage einer langfristig angelegten Investition in Bildung vernachlässigbar zu sein scheint. Es stehen jetzt gerade wieder Landtagswahlen an. Wir sollten alle dafür sorgen, dass der Druck zugunsten einer zukunftsorientierten Bildungspolitik so groß wird, dass sich kein Politiker ihm mehr entziehen kann.

Schon seit einiger Zeit fordern die ARGEn im Land eine grundsätzliche Diskussion über das Schulsystem an unseren Gymnasien. Eine inzwischen bis in den kommenden Oktober hinein verlängerte Petition zugunsten eines neunjährigen Gymnasiums im Land hat inzwischen  60.000 Unterschriften gesammelt. (https://www.openpetition.de/petition/online/g9-jetzt-baden-wuerttemberg) Namhafte Wissenschaftler, alle möglichen Untersuchungen zu unserem Bildungsablauf an den Gymnasien kommen zu dem Schluss, dass unsere Lehrpläne unter Entwicklungs-Gesichtspunkten unserer Kinder denkbar schlecht sind. Viele Probleme – unter anderem vor allem schnell und nachhaltig das Problem der Lehrerunterversorgung – könnten durch ein grundsätzlich auf neun Jahre angelegtes Gymnasium – gerne und vor allem auch mit einer „Überholspur“ auf acht Jahre reduzierbar – gelöst werden.

Vor Corona geschah bildungspolitisch nichts in dieser Richtung.

Vor Corona gab es auch in keinem Jahr und auch in keinem Landes-Haushalt genügend Mittel, um das herunter- oder auch schon totgesparte Bildungssystem nicht nur am Leben, sondern zukunftsorientiert zu halten.

Es ist komisch, aber für keine/keinen der beteiligten und betroffenen Schüler*innen und Lehrer*innen witzig, wenn es für das „digitale Endgerät“ in der Schule kein adäquates Netz gibt, weil die Schule dummerweise erst in ein paar Jahren saniert und/oder breitbandfähig gemacht wird. Es ist auch überhaupt nicht witzig, dass sich die Politik für einen Digitalpakt und seine Milliarden feiert, die sie dann in den ersten Jahren erst einmal auf den Konten einfrieren muss, weil die Antragsverfahren undurchsichtig, zu kompliziert oder zu langwierig sind. Genauso wenig witzig ist es, dass nach der grandiosen und Millionen-Euro-teuren Pleite mit der Digitalplattform „Ella“ für die Schulen nun in zwei bis drei Jahren eine neue Plattform entwickelt werden soll, die wieder das digitale Rad für Baden-Württembergs Schulen neu erfinden und so gut wie gar nicht auf vorhandene Lösungen zurückgreifen will. 

Jetzt wird alles besser. Oder wenigstens anders.

Wirklich?

An welcher Schule werden

-      die Erfahrungen des Lockdown,

-      des Distanz- und teilweisen Präsenzunterrichts,

-      des „Untertauchens“ von Schüler*innen und Lehrer*innen

-      der möglichen und unmöglichen Unterstützung durch die „Hilfslehrer“ in der Familie

gemeinsam in der Schulgemeinschaft aufgearbeitet? 

Welchen anderen als bloßen Feigenblattcharakter müssen „Lernbrücken“ haben, die schon aufgrund der Zahl der zur Verfügung stehenden  Lehrer*innen nur auf die überdeutlich erkennbar abgehängten Schüler*innen beschränkt sein müssen? Was ist mit der großen Zahl der Schüler, die nicht völlig abgehängt wurden, deren Lerndefizite aber durch zusätzliche Angebote der Schulen ausgeglichen werden müssten?

Können wir es uns leisten, dass Corona diejenigen am meisten getroffen hat und langfristig am nachhaltigsten schaden wird, bei denen die „digitalen Endgeräte“ – welch ein Un-Wort! - , die Netzversorgung oder das Bildungsniveau und damit die Nachhilfe-Möglichkeit der Eltern nicht optimal waren, sind und sein werden? Von den finanziellen Möglichkeiten, Lern- oder Technik-Defizite auszugleichen, ganz zu schweigen!

Nein, wir können es uns als Land ohne Rohstoffe und dem einzigen Vorteil einer hochtechnisierten Wirtschaft und eines optimal geschulten und ausgebildeten Personals nicht leisten!

Niemand hat Corona und die Folgen voraussehen können. Deshalb kann man auch niemandem, weder Lehrer*innen noch Kultus-Ministerialen, Schüler*innen oder Eltern einen Vorwurf machen, wenn das alles sie überrascht hat. Einen Vorwurf aber kann man all denen machen, die jetzt immer noch nicht verstanden haben,

-      dass unser Bildungssystem umgehend reformiert, finanziell und personell erheblich besser ausgestattet und auf die Zukunft ausgerichtet werden muss.

-      Dass viele Eltern, Schüler*innen und Lehrer durch Corona an die Grenzen ihrer Kapazitäten gekommen sind – und oft auch darüber hinaus.

-      Dass diese Eltern, Schüler*innen und Lehrer nach Corona konkrete Hilfe und eine ebensolche konkrete Aufarbeitung der Probleme und deren Bewältigung bekommen müssen – und sich nicht durch die gebetsmühlenhaft wiederholte Beschwichtigung „Alles wird gut!“ abspeisen lassen können.

Schule macht jetzt sechs Wochen Pause, bei Lernbrücken-Betroffenen Lehrer*innen und Schüler*innen nur vier. Elternarbeit macht keine Pause, denn wir alle sollen und müssen uns überlegen, wie wir uns vorbereiten können darauf

-      dass es zu einer zweiten Pandemie-Welle kommt und Unterricht erneut nur teilweise, rollierend und aufgeteilt in Präsenz- und Distanz-unterricht auf die Familien zukommt. (Den Schulen würde man diese Vorbereitung darauf auch sehr gerne und dringend empfehlen!)

-      dass die schulpolitische Diskussion im Landtagswahlkampf ankommt und alle potentiellen Abgeordneten sich dazu äußern, wie  zukunftsorientierte Bildungspolitik aussehen und wie sie finanziert werden muss,

-      dass Schulbildung nicht nur das Lernen von Kernfächern im Klassenverband bedeutet, sondern dass zu den Kern-Fächern eben auch die Fächer gehören, die für die Schulbildung ebenso elementar sind wie die Kerne und schließlich, 

-      dass es zur Schule dazugehören muss, jahrgangsübergreifende kulturelle Arbeitsgemeinschaften und Lerngruppen möglich zu machen.

Wenn sie sich darauf vorbereiten und auf alle Eventualitäten des Corona-bedingten Unterrichts einstellen, dann, liebe ARGE-Mitglieder, sollte es Ihnen selbst mit eingeschränkter Reisetätigkeit nicht langweilig werden.

Wir haben die zweite Mitgliederversammlung im Schuljahr 2019/20 bekanntlich Corona-bedingt verschoben. Wir werden diese auf jeden Fall und notfalls eben auch als Videokonferenz Ende September/Anfang Oktober durchführen. Dies wäre ein Zeitpunkt, bevor die neuen Elternvertreter gewählt werden, so dass die Elternvertreter und ARGE-Mitglieder des Schuljahres 2019/20 noch den dann wieder zwei Jahre im Amt tätigen Vorstand der ARGE Stuttgart wählen können.

Wir freuen uns auf die Mitgliederversammlung und die Diskussionen über unsere Arbeit.

Bleiben Sie gesund – und erholen Sie sich von dem ungewöhnlichsten Jahr Ihrer Zeit als Elternvertreter!                          

Für den Vorstand der ARGE Stuttgart

Michael Mattig-Gerlach, Ines Müller Vogt