Arbeitsgemeinschaft Elternbeiräte an Gymnasien im Regierungsbezirk Stuttgart

AKTUELLES

März-Rundschreiben der ARGE Stuttgart: (Kleiner) Erfolg bei der Lernmittelfreiheit

Liebe Mitglieder der ARGE Stuttgart,

manchmal zeigen kleine „Erfolge“, dass Elternarbeit und Informationen, die wir über Elternvertretungen an die Schulleitungen geben, nützlich sein können und tatsächlich etwas verändern.

Vor kurzem fragte uns eine Mutter nach der Rechtmäßigkeit einer Pauschalsumme von 20 Euro pro Kind –  mit Ermäßigung für das zweite Kind 15 Euro  - an. Bezahlt werden sollten damit, einem Elternbrief der Schule zufolge, „Verbrauchsmaterialien wie Workbooks und Arbeitshefte“. Alle Eltern der Schule zahlten, nur eine Mutter fand, dass dies nicht der Lernmittelfreiheit entsprechen könne, die im Schulgesetz, in der Landesverfassung und in einem Verwaltungsgerichtshofurteil aus dem Jahre 2001 festgehalten ist. Nachdem die Mutter mit den Informationen aus der ARGE-website zur Lernmittelfreiheit in ein Gespräch mit der Schulleitung kam, zeigte diese ein Einsehen und schrieb erneut einen Elternbrief: „Das Gesetz zur Lernmittelfreiheit sieht vor, dass für zwingende Lernmittel keine Zuzahlung von den Eltern erhoben werden darf. Dies war mir und dem Schulträger so nicht bekannt.“ (!) Entsprechend zahlte die Schulleitung den Teil des Pauschalbetrags zurück, der für Lernmittel vorgesehen war.

In einem Artikel in der Zeitschrift des Landeseltenbeirats steht zu dem VGH-Urteil zur Lernmittelfreiheit im Heft 4/2022, dazu: „Der für Eltern interessanteste Punkt des Verwaltungsgerichtshofurteils von 2001 ist die Festlegung auf eine „Bagatellgrenze“ von ca zwei Euro. Alles, was mehr kostet, ist Teil der Lernmittelfreiheit.“ Außerdem: „Die klare Bestimmung, dass die Lernnotwendigkeiten (Zur Erreichung des Lernziels unbedingt nötiges Mittel) und NICHT die Haushaltslage des Schulträgers über die Anschaffung und Überlassung der Lernmittel bestimmt. Nur wollte sich bisher niemand der darüber klagenden Eltern auch gerichtlich gegen die Lernmittel-Politik nach Haushaltslage zur Wehr setzen.“

Die Rechtslage ergibt sich bis heute eindeutig aus dem VGH-Urteil: (VGH Ba-Wü, vom 23.01.2001, AZ: 9 S 331/00/ ) Alle Informationen hier nachzulesen: https://www.arge-stuttgart.org/index.php?id=61

Die Interpretation für Lernmittel ist dem Lernmittelverzeichnis des Kultusministeriums zu entnehmen, das seit 2015 unverändert und von Gerichten ungeprüft als Argument herangezogen wird, wenn Eltern der Ansicht sind, eigentlich Dinge bezahlen zu müssen, die unter die Lernmittelfreiheit fallen. Die digitale Kompetenz endet in dieser Liste bei der Anschaffung von Taschenrechnern. Laptops, Tablets, Ipads und dergleichen kommen darin nicht vor. Die seit langem angekündigte Aktualisierung des Kultusministeriums lässt auf sich warten – wie auf alles, was Kosten verursachen könnte. Immerhin: Hier gibt es einen kleinen Erfolg zu vermelden.

Wir wollten ganz bewusst das Rundschreiben mit etwas Positivem anfangen, denn sehr viel mehr an erfreulichen Informationen gibt es leider nicht. Zur ohnehin – um es vorsichtig auszudrücken – problematischen Lehrkraft-Versorgungslage an den Schulen kommt nun ein weiteres Problem auf alle Schulen im Land zu, das vermutlich leider nicht anders behandelt werden wird, wie alles, was uns in die seit einem Jahrzehnt andauernde Bildungsmisere hineinschliddern ließ: Große Ankündigungen und wenig konkrete Umsetzungen.

Der Ukraine-Krieg wirkt sich – natürlich – auch in Baden-Württemberg aus. Es ist völlig richtig und sehr zu begrüßen, dass sich eine Willkommens-Kultur für die Flüchtlinge aus Putins Überfall in ganz Deutschland entwickelt hat und dass sich jeder nach seinen Möglichkeiten verpflichtet fühlt, so gut es geht, den Flüchtlingen zu helfen. Zwischen einer und drei Millionen erwartet man in der Bundesrepublik, zwischen einhundertdreißig- und 260.000 – dreizehn Prozent aller Flüchtlinge nach dem Königsteiner Schlüssel für Baden-Württemberg - werden nach Baden-Württemberg kommen. 20 Prozent der Flüchtlinge sind Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter. Sie sollen – auch das ist völlig richtig – so schnell es geht in einen strukturierten Unterricht gebracht werden.

Fragt sich nur: Wie?

Um dieses Vorhaben umzusetzen und Kinder und Jugendliche nicht in Turnhallen und Flüchtlingsunterkünften zu verwahren, müssten wenigstens 1.800 zusätzliche Lehrkräfte eingesetzt werden. Ganz sicher können diese zusätzlichen Lehrkräfte nicht aus dem Reservoir von geflüchteten Lehrkräften aus der Ukraine rekrutiert werden.

Die Kinder und Jugendlichen kommen aus einer seit Jahren zunehmend westeuropäisch geprägten Umgebung und einer Kultur, die ihnen gerade versucht wird, aus der Seele zu bomben. Sie sind traumatisiert, ohne oder mit kaum deutschen Sprachkenntnissen und ausgesetzt einem Bildungssystem, das schon für die hier heimischen Kinder und Jugendlichen außerstande ist, reibungsfrei zu funktionieren.

Wir sind im Endstadium des Unterrichts unter Pandemiebedingungen und haben im Verlauf der Coronazeit all die Unzulänglichkeiten von Schule im Brennglas der außergewöhnlichen Unzulänglichkeiten erlebt. Wir hinken weit hinter unseren eigenen Ansprüchen in der Digitalisierung hinterher und haben weder vor noch nach der Pandemie genügend Lehrkräfte, um auch nur die Ansprüche der Schüler*innen in Baden-Württemberg erfüllen zu können.

Unser Ministerpräsident hat vor kurzem festgestellt, dass man nicht mal die neuen Lehrkräftestellen in den Etat reinschreiben muss, die man zum Ausgleich der wachsenden Schüler*innenzahlen in den nächsten zwei Jahren zusätzlich braucht. Braucht man nicht in den Haushalt reinzuschreiben, meint er, weil es die Lehrkräfte ja sowieso nicht gibt.

Wir haben erst die Pensionierungswelle und die Schwangerschaftswelle verpennt und haben es zu keinem Zeitpunkt geschafft, unser Bildungssystem auch nur im Ansatz auf den Stand der Zeit zu bringen. Spätestens die nächste Pisa-Studie in diesem Jahr wird dies erneut bestätigen. Und dann sollen wir ausgerechnet bei der Flüchtlingswelle zum Wellenbrecher mit ausreichenden Lehrkräften und genügend Personal in den Kindertagestätten sein?

Kaum zu glauben!

Auf die Zeitenwende könnte man natürlich in Bund und Land auch ganz anders reagieren. Der Ex-Finanzminister und aktuelle Kanzler hat es ja verbal zu Beginn der Pandemie vorgemacht, als er mit einem „Wumms“ aus der Corona-Krise rauskommen wollte. An fehlenden Milliarden aus den Haushalten lag es sicher nicht, dass so manches bei der Pandemie schief ging.

Den „Wumms“ hat er jetzt wieder propagiert, als er 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr und mehr als zwei Prozent des Bruttosozialprodukts künftig pro Jahr in die Rüstung ankündigte. Warum gab und gibt es diesen „Wumms“ noch nie in der Bildungspolitik? Gemessen am Rüstungsetat würde ja schon ein „Wümms-chen“ genügen.

Stattdessen wird erneut die „Politik der offenen Arme“ propagiert, die den betroffenen Schulleitern und Lehrkräften für ihr zusätzliches Engagement ein verbal herzliches „Danke-Schön!“ und einen medialen feucht-warmen Händedruck der Politik einbringen wird.

Eine Bildungspolitik mit „Wumms!“ wäre,

-      wenn der zuständige Ministerpräsident sofort die Voraussetzungen für zusätzliche Studienplätze schaffen würde.

-      Wenn er konkrete Pläne entwickeln ließe, die geflüchteten Lehrkräfte aus der Ukraine mit Verträgen für den Einsatz bei den geflüchteten Kindern auszustatten.

-      Wenn er die pädagogischen Studien mit einem zusätzlichen Pflicht-Praktikum in der pädagogischen Flüchtlingsarbeit aufstocken lassen würde.

-      Wenn er anweisen würde, logistisch sicherzustellen, dass die geflüchteten Kinder und die rekrutierten Lehrkräfte umgehend in Räumen unterrichtet werden können, die im Rahmen des großen pädagogischen „Wumms“ finanziert würden.

-      Wenn er die Ausstattung der Schulen mit zusätzlichen VKL-Klassen mit zusätzlichen Räumen und zusätzlichem Personal vorbereiten würde.

-      Wenn er diese Liste an konkreten Maßnahmen aus eigener Phantasie beliebig im Sinne des „Wumms“ ergänzen würde. Etwa für die zusätzlichen Stellen in der Betreuung in Kindertagesstätten.

Das müsste er hinbekommen. Er war bekanntlich ja selbst einmal Lehrkraft… 

Leider muss man kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass die 100 Milliarden an Militärausgaben ganz sicher verpulvert werden, der bildungspolitische „Wumms“ dagegen nie Realität werden wird.

Man darf nicht einmal gespannt darauf sein, auf wessen Rücken die wohlfeilen Versprechungen der Willkommens-Politik auch dieses Mal ausgetragen werden. Wir tippen – wenig einfallsreich, aber mit hoher Aussicht auf Wirklichkeitsnähe: Auf dem Rücken der aktuell Beschäftigten und erneut auf denen unserer Kinder.

Zum Schluss noch etwas aus dem ARGE-Alltag: Im Mai planen wir unsere Frühjahrsversammlung. Wir versuchen, diese hybrid, also in Präsenz und Online durchzuführen, um möglichst vielen unserer Mitglieder die Teilnahme zu ermöglichen.

Bitte denken Sie daran, dass der jetzige Vorstand zum Teil NICHT zur Wiederwahl ansteht und wir auf jeden Fall im Mai einen neuen Vorstand wählen müssen. Der jetzige Vorstand ist gerne bereit, jeder/jedem alle Informationen zukommen zu lassen, die es ihr/ihm ermöglicht oder sie/ihn ermuntern kann, im ARGE-Vorstand mitzuarbeiten. Wir freuen uns auf Sie!

Und noch ein Letztes – Unerläßliches:           

Auf unserer letzten Videokonferenz und auch in verschiedenen Mails wurden wir nach dem „Beitrag“ der Schulen für die ARGE Stuttgart gefragt:

Zur Finanzierung der ARGE-Arbeit bitten wir, einen Obolus von 5 Cent pro Schüler auf das ARGE-Konto bei der BW-Bank zu überweisen. 

IBAN DE58 6005 0101 0002 0556 06

Alles Wesentliche/Grundsätzliche zur ARGE Stuttgart finden Sie auf unserer website: https://www.arge-stuttgart.org/index.php?id=6

Mit herzlichen Grüßen

Michael Mattig-Gerlach, Thomas Brauer

für den Vorstand der ARGE Stuttgart